„Das Reiten ist so schön gewesen“

Durch eine Reittherapie, finanziert von der Hans-Joachim-Schultz-Stiftung, hat Andreas Rimpfl seine Lebensfreude wiedergefunden

„Zeit teilt heilt eilt“ – so steht ein Spruch geschrieben hoch über dem Eingang des Klinikums Schwabing in München.

Die Zeit – sie teilt das Leben von Andreas Rimpfl aus Taufkirchen an der Vils in eine Zeit vor der Krebs-Diagnose und eine Zeit danach. Die Zeit davor ist kürzer. Andreas war erst fünf Jahre alt, als Leukämie festgestellt wurde. Heute, 2014, ist er elf.

Die Zeit heilt. Allein sechs Wochen hat die erste Chemo 2008 gedauert, eine Zeit der Isolation im Krankenzimmer, in der die Eltern Mundschutz tragen mussten und sich vor Sorge, sie könnten Keime übertragen, oft die Hände desinfiziert haben. Unzählige weitere Klinikaufenthalte und -untersuchungen hat Andreas seit einem Rückfall 2012 hinter sich. Aber die Zeit heilt. Heute ist Andreas krebsfrei.

Die Zeit eilt. Sie ist über die Kindheit von Andreas hinweg geeilt wie ein Wirbelwind, hat fast seine gesamte Grundschulzeit mit Krankheit überzogen. Was zählte, war das Gesundwerden. Schulunterricht stand an zweiter Stelle. Die Zeit eilte auch für Andreas großen Bruder. Er musste schnell erwachsen werden, um daheim den Vater zu unterstützen, wenn die Mutter mit seinem Bruder im Krankenhaus war. Eile war auch für die Eltern geboten, wenn es galt, schnell und richtig zu handeln, um Andreas‘ Genesung zu fördern.

Nachuntersuchungen

Auch heute, Anfang November 2014, ist Andreas wieder durch das Krankenhaus-Portal getreten – wie so oft in den vergangenen sechs Jahren. Seine Chemo hat er heuer beendet, jetzt muss er nur noch Vitamintabletten einnehmen und die Abschlussuntersuchungen über sich ergehen lassen. Knochenmarkpunktion war gestern dran. Der Junge wirkt noch ein wenig benommen davon, schlapp und müde und außerdem hungrig, denn für die heutigen Untersuchungen muss er nüchtern sein. Er zeigt das große Pflaster, das die Stelle abdeckt, an der der Eingriff durchgeführt wurde und die Hämatome, groß wie Orangen, die ohne Ursache entstanden sind, als im Sommer plötzlich die Blutgerinnungswerte nicht mehr gestimmt haben. Cortisongaben haben geholfen, ließen den hübschen dunkelhaarigen Jungen mit den braunen Augen aber etwas „aufschwemmen“.

Heute muss der kleine Patient in die „Röhre“. Er fühlt sich unwohl bei dem Gedanken, weil er weiß, dass er allein im Raum sein wird: „Das dauert wieder so lang.“ Die Mutter soll versprechen, dass sie seine Hand halten wird. Sie beschwichtigt, sie weiß, das wird nicht gehen. „Das schaffst du, hast du doch immer geschafft.“ Ermunternd hält sie ihm die Handfläche hin: „Schlag ein, give me five!“ Das Alleinsein macht Andreas zu schaffen, deshalb zieht er die Punktion der „Röhre“ vor – da darf die Mutter dabei sein.

Wie alles begann

2008 ging es mit Andreas‘ Gesundheit bergab. Husten und Schnupfen ließen sich nicht ausheilen, dazu kamen Schmerzen im Knie. Er fühlte sich ständig schlapp, konnte keine weiten Strecken mehr gehen. Antibiotika schlugen nicht an. Der Kinderarzt schickte die Rimpfls zu weiteren Blutuntersuchungen ins Landshuter Kinderkrankenhaus. Der Befund: Leukämie. Sechs Wochen dauerte anschließend die Chemo im Schwabinger Krankenhaus. Die Mutter blieb unter der Woche bei ihrem Sohn; am Wochenende übernahm der Vater, der trotz seiner Berufstätigkeit zusammen mit seinem älteren Sohn alle zuhause anfallenden Arbeiten erledigte – ohne Haushaltshilfe.

Der Rückfall

Bis 2012 war Andreas ohne Symptome. Dann ging alles wieder von vorne los, Chemo, Blutaustausch. „Das Blut musste ganz langsam einfließen, deshalb dauerte die Blutübertragung bis nachts um 3.45 Uhr. Danach durften wir nach Hause“, erinnert sich die Mutter. 2013 bekam Andreas noch eine Kopfbestrahlung als Ergänzung zur bisherigen Therapie. An die Behandlungen schlossen sich die Nachkontrollen an: Erst im vierwöchigen Rhythmus, dann alle sechs Wochen, dann nach einem halben Jahr. Jedes Mal fährt Andreas mit seiner Mutter früh am Morgen mit der Bahn nach München.

Schule ohne Druck

Jedes Mal fällt dann für den Jungen die Schule aus, wie so oft in den letzten Jahren, als es nur ums Überleben und um das Gesundwerden ging. Andreas besucht heute die 4. Klasse einer Förderschule. Immer wieder muss er nachlernen, aber die Schule handhabt das ohne Druck, sagt die Mutter. Einmal in der Woche hilft ihm eine Kinderpsychologin, das Erlebte gut aufzuarbeiten. Diese Maßnahme bezahlt die Krankenkasse wie auch zwei Reha-Aufenthalte. „Bei der ersten Reha durfte sogar die ganze Familie mitfahren. Wir waren im Schwarzwald und haben im Garten vor dem Haus oft miteinander am Lagerfeuer gesessen“, erinnert sich Frau Rimpfl mit einem Lächeln. Die Auszeit hat auch ihr gut getan. Urlaube fanden seit Andreas‘ Krankheit nicht statt.

Auf dem Pferderücken zurück ins Leben

„Willst du was über die Pferdl wissen?“, fragt Andreas. Er zieht seinen Fotoapparat aus der Tasche und wird jetzt merklich lebendiger. „Das ist Winnie“, erklärt der Junge und lächelt, als er auf das Foto mit dem braun-weiß gefleckten Pferd blickt. Auf jedem Bild, das er eifrig zeigt, sieht man einen lachenden Jungen, der sich auf dem Reitplatz rundherum wohl fühlt. 2013 und 2014 hat sich die Familie Rimpfl mit ihrem Wunsch nach einer Reittherapie für Andreas an die Hans-Joachim-Schultz-Stiftung gewandt. „Die Koordinationsstelle psychosoziale Nachsorge für Familien KONA hat uns auf die Stiftung aufmerksam gemacht und uns erklärt, wie gut sich eine Reittherapie auf Kinder auswirkt“, sagt ­­­Frau Rimpfl. Reittherapeutin Cordula Will kam einmal pro Woche auf den Reiterhof Tinkerhof in Taufkirchen, um Andreas an die Pferde und das Reiten heranzuführen – zuerst auf dem Platz, später gab es Ausritte. „Wir sind auf einem Waldweg zu einem kleinen Dorf geritten“, erinnert sich Andreas. Er hat gelernt, die Balance auf dem Pferd zu halten und hat dabei auch sein seelisches Gleichgewicht und seine Lebensfreude wieder gefunden. „Winnie hat mich gemocht“, strahlt der Junge und das Reiten sei so schön gewesen. „Aber auch Winnie war einmal krank“, fügt er plötzlich hinzu.